Saudi Arabische Innenansichten

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WDR5 Politikum
Das Meinungsmagazin
27. März 2012

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Der Westen behindert den Arabischen Frühling

Toby Matthiesen

Saudi Arabien und Katar gebieten sich im Moment als Verfechter der Demokratisierung in Syrien und wollen die Aufständischen dort unterstützen. Die Proteste in Syrien sind natürlich legitim und Assad ein Despot. Wer die politischen Zustände in diesen Ländern, besonders in Saudi Arabien kennt, weiß aber, dass die Golfstaaten als Exporteure von Demokratie nicht taugen. Und der Westen wagt es kaum je, die Zustände in den Golfstaaten zu kritisieren: Das Saudi-Arabische Öl ist – gerade auch durch das Embargo gegen Iran – wichtiger geworden denn je. Das große Problem der westlichen Politik gegenüber dem arabischen Frühling ist es denn auch, dass sie nicht einheitlich ist. Den anti-westlichen Diktaturen wie etwa Syrien und Libyen steht man kritisch gegenüber, während man mit den prowestlichen Diktaturen, allen voran den Monarchien am Golf, gemeinsame Sache macht. Dabei gehen die Versprechen des arabischen Frühlings alle Araber gleichermaßen an. Mittelfristig sind die Bürger aller Staaten in der Region nicht mehr bereit, unter diktatorischen Regimen zu leben.

Die heuchlerische Interessenspolitik des Westens zeigte sich im vergangenen Jahr deutlich in Bahrain: Die Amerikaner ließen zu, dass ihr enger Verbündeter mit der Hilfe der Saudis die dortigen Massenproteste niederschlug. Eine ähnliche Doppelmoral legt der Westen gegenüber Saudi Arabien an den Tag. Während in den Metropolen in Jidda und Riyad bisher kaum Leute auf die Straßen gegangen sind, sieht es in der ölreichen Ostprovinz des Landes ganz anders aus. Seit rund einem Jahr demonstrieren die Saudis dort fast jede Woche, an manchen Tagen sogar an die hundert tausende. Sie gehören fast ausschließlich der schiitischen Minderheit an, die auf rund zwei Millionen oder etwa zehn Prozent der Bevölkerung geschätzt wird. Die Schiiten werden seit der Eroberung der Ostprovinz durch die saudischen Truppen im Jahr 1913 unterdrückt, und hatten in den vergangen Jahrzehnten eine Vielzahl von politischen Untergrundorganisationen gegründet. Der arabische Frühling, und allen voran der Aufstand in Bahrain, hat den saudischen Schiiten dann neue Hoffnung gegeben, dass ihre Forderungen nach Gleichberechtigung in Justiz, Politik und Wirtschaft erhört und ihnen das Recht auf freie Religionsausübung gewährt wird.

Da die Forderungen der Schiiten im regionalen Vergleich eher bescheiden sind, ist es unverständlich, wieso die saudische Regierung nicht wenigstens einige davon erfüllt. Die “Falken” in den Golfstaaten behaupten oft, die Golfschiiten seien eine iranische fünfte Kolonne und man könne ihnen nicht trauen. Das ist ein Hirngespinst. Doch selbst wenn dem so wäre, sollten ihnen die Machthaber nicht nur mit Konfrontation begegnen und sie weiter radikalisieren. Die saudische Königsfamilie fürchtet aber, dass Zugeständnisse in der Ostprovinz zu noch gefährlicheren Forderungen in anderen Provinzen und von anderen Bevölkerungsgruppen nach sich ziehen würde. Im Gegensatz zum gängigen Bild vom Wahhabitisch geprägten Nationalstaat ist Saudi-Arabien ein Amalgam aus unterschiedlichen Regionen, Mentalitäten, Stammes- und Religionsgruppen. Die saudische Politik gegenüber den Schiiten, die in den letzten Monaten zum ersten Mal Todesopfer unter Demonstranten gefordert hat, zielt denn auch vor allem darauf ab, dass sich die übrigen saudischen Staatsbürger nicht mit den Schiiten solidarisieren. Bisher ist diese Rechnung aufgegangen. Nur eine Gruppe von Intellektuellen hatte sich auf die Seite der Schiiten geschlagen, wofür sie in den offiziellen Medien arg verleumdet wurden.

Für den Westen sollten die Demonstrationen in Saudi-Arabien aber eine Lehre sein: Entweder man propagiert konsequent Demokratie und Menschenrechte – das heißt auch in verbündeten Ländern wie den Golfstaaten. Oder aber man lässt es ganz sein. Unterstützung von Protestbewegungen in ausgewählten Ländern oder sogar Militärinterventionen sind wenig wert, wenn im Nachbarland weiterhin gefoltert wird und Diktatoren weiterhin hofiert werden. prechen des arabischen Frühlings werden ihre Kraft nicht verlieren.

Es schadet, die inner-arabischen Probleme immer nur pauschal durch die Brille der kurzfristigen Interessenspolitik und der vermeintlichen Konfliktlinen der Region zu sehen. Bei hochrangigen Treffen zwischen Saudi-Arabischen und westlichen Politikern kommt die Unterdrückung der Schiiten in Saudi-Arabien bislang kaum zur Sprache: Das muss sich ändern. Der Westen sollte sich für einen Inner-Saudi-Arabischen Interessenausgleich stark machen. Nur das kann den drohenden konfessionellen Konflikt in der Region verhindern.

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